Wie ich an anderer Stelle bereits angemerkt habe, sind Blind Tastings für mich die einzig wahren Tastings. Der menschliche Geruchs- und Geschmackssinn ist an sich schon nicht besonders gut. Dazu kommt ein Gehirn, das völlig subjektiv arbeitet und sich die Welt aus all den Fragmenten konstruiert, die unsere Sinne ihm liefern. Informationen, die es über das Etikett bekommt, fließen dann genau so in die Bewertung ein wie das, was Nase und Zunge melden. Das verfälscht die Ergebnisse dramatisch und ist speziell im Vergleich von teuren Whiskys mit großen Namen und vermeintlicher Standardware besonders deutlich. Für dieses Tasting wäre zumindest dieser Punkt nicht von Belang gewesen, denn es gab – wie immer bei Pit – nur hochwertige Tropfen zu verkosten. Nichtsdestotrotz ist es spannender und ergiebiger, ohne Beeinflussung an die Sachen heranzugehen. Wir hatten alle wirklich gar keinen Plan, was wir vorgesetzt bekommen. Die Auflösung kam jeweils während des Trinkens nach dem gemeinsamen Erschmecken, Diskutieren und Raten, so dass man mit den letzten Schlucken alle Informationen zusammenbringen konnte.
Nummer 1
Wenn Pit ein Tasting macht, dann muss nicht alles Whisky sein. Dass wir hier zum Auftakt keinen im Glas hatten, war allen direkt klar. Die Vermutungen am Nebentisch gingen schnell in Richtung Cognac. Vom dem hab ich allerdings keine Ahnung, meine Assoziation war eher ein Grappa, der im Eichenfass nachgelagert wurde. Traubenschalen waren in jedem Fall sehr präsent. Rum wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Insgesamt in jedem Fall sehr fruchtig, ziemlich süß und auch recht angenehm. Bei der Auflösung hat sich gezeigt, dass der Nebentisch zumindest die Richtung erkannt hatte. Ein Cognac war es zwar keiner, aber ein Armagnac Napoleon D’or de Luxe, 5 Jahre, 40%, was nahe genug ist. Nicht nur als Eröffnung für den Abend ein ordentlicher Tropfen.
Nummer 2
Jetzt waren wir definitiv beim Whisky, auch wenn ich hier ebenfalls Weinnoten erriechen konnte. Die waren aber eingebaut in einen wuchtigen, dabei aber weichen Gesamtcharakter mit viel (über)reifer Frucht (Mango?) und wenig Alkohol. Zwischendrin hatte ich auch einen cremigen Weichkäse in der Nase. Dann sind wir auf den typischen „old bottle flavour“ aufmerksam geworden, den Whiskys nach vielen Jahren in der Flasche entwickeln. Ein wenig muffig, ein Geruch wie ihn alte Bücher auch oft haben oder wie es ihn in Bibliotheken gibt. Altes Leder oder auch nasse Pappe.
Im Geschmack Wurzeln und krautige Noten, dabei aber sehr leicht uns sehr rund. Ich war eher blank, aber einige hatten gute Tipps in Richtung junger Whisky aber aus alter Zeit. Die Destillerie hatte allerdings niemand richtig: Glen Grant, 8 y.o., 40%, Jahrgang 1961
Nummer 3
Eigentlich sollte man auch noch geschwärzte Gläser nehmen, denn hier schreit die extrem dunkle Farbe des Whiskys schon sehr nach Sherryfass. In der Nase dunkle Beeren, Cassis, Schwefel und Schokolade. An sich stehe ich nicht so auf die extremen Sherryabfüllungen, aber das hier war saugut. Ein milder und dabei doch voluminöser Geschmack, mit ein paar frischen Noten darüber. Sehr elegant. Das einzige Manko war der etwas kurze Abgang. Das Rätselraten ging in diesem Fall deutlich länger, denn die Auflösung war, dass Pit ebenfalls keine Ahnung hatte, was sich in der Flasche befunden hat. Als er bei einem Abfüller ein paar Raritäten aus dem Lager erworben hat, war diese Flasche mit dabei. Allerdings hatte sie im Laufe der Jahre ihr Etikett verloren, so dass auch der Verkäufer nicht wusste, um was es sich handelt. Der Bereich des Lagers ließ ein paar Vermutungen zu (die sich in unserer Runde auf einen Glendronach aus den 40ern oder 50ern verengt haben, wozu ich mangels Erfahrungen überhaupt nichts sinnvolles beisteuern konnte), aber letztlich weiß es einfach niemand. Was ausgesprochen schade ist, denn der war richtig gut.
Nummer 4
Krautige Noten und Wurzeln dominieren die Nase. Der Geschmack ist üppig und hat etwas leicht blechiges. Und er macht eine deutliche Entwicklung durch. Das ist einer dieser Whiskys, die sich Glas von Minute zu Minute verändern und deswegen extrem schwer zu beschreiben sind. Konkret handelt es sich hierbei um einen Glen Avon, 15 y.o., 40% aus den 60er Jahren, was mir absolut gar nicht sagt. So beschränke ich mich aufs Genießen, denn auch dieser Whisky ist ausgesprochen gut.
Nummer 5
Nun bewegen wir uns in meine favorisierte Richtung. Honig, Himbeeren, Birne, Banenenchips, insgesamt sehr viel üppige und reife Frucht. Hier ist der Sommer im Glas! Der Geschmack ist kräftig ohne jede Schärfe, der Abgang ist ein langsames Verklingen der Aromen. Für mich eines der absoluten Highlights des Abends. Interessanterweise kein Schotte, sondern ein Ire. In Irland tut sich gerade einiges und dieser Cooley, 23 y.o., 55%, von Cadenhead’s ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Insel sich wieder auf den Weg zurück zu alter Größe macht. Mal sehen, wie lange die noch zu vertretbaren Preisen zu erhalten sind. Könnte gut sein, dass hier das nächste große Ding kommt.
Nummer 6
Es bleibt fruchtig. Die erste Assoziationen sind Zitrusnoten und Lösungsmittel, aber das verfliegt schnell und entwickelt sich über Apfel hin zu Cassis. Ein wenig Gummi ist auch dabei. Der Geschmack ist auch hier dominant fruchtig. Dieser Whisky würde mich sehr begeistern, hätte ich nicht davor den Cooley getrunken, gegen den er im direkten Vergleich leider klar den kürzeren zieht. Auch hier haben wir es mit einer aktuellen Abfüllung zu tun, einem Lochside, 17 y.o., 46%, von The Daily Dram.
Nummer 7
Auch hier ist die allererste Nase eher unangenehm, noch weniger Frucht und mehr Lösungsmittel. Aber auch hier ändert sich der Charakter im Glas deutlich zum Positiven. Mit ein wenig Luft kommen deutliche Pfirsich- und Kokosnote durch, später dann Johannis- und Stachelbeeren. Dazu kommen Noten, die an Hefeteig und Brot erinnern. Der Geschmack ist sehr cremig und dabei recht ungewöhnlich, denn hier kommen erst die Fruchtnoten und dann dahinter wuchtig der Whisky. Insgesamt passiert hier einiges im Mund. Die Auflösung ist ein Glenlossie „46.25“, 21y.o., 46,5% der Scotch Malt Whisky Society, die hier unter vielen guten Abfüllungen einen absoluten Volltreffer im Programm hat. Bombenabfüllung und mein Tagessieger.
Nummer 8
Was wir nun im Glas haben, erinnert mich auf Anhieb an den Glenmorangie Signet, bei dem man versucht hat, über spezielles Malz extreme Noten rauszukitzeln. Vor allem sind das Kaffee und Schokolade und genau das findet sich auch hier sehr dominant wieder. Dazu kommen Marzipan und Schwarzwälder Kirsch. Der Geschmack ist extrem, viel Holz, süße Kirschen oder Kirschpralinen. Das ist sehr eigenwillig und erst mal gar nicht so übel. Allerdings kommen mit jedem Schluck die Holznoten deutlicher raus, was ich als zunehmend unangenehm empfinde. Beim Raten sind wir alle völlig blank, niemand kommt auch nur in die Nähe der Auflösung. Die ist allerdings auch gar nicht so einfach, denn es handelt sich um etwas sehr ungewöhnliches, was es in dieser Form bislang nicht gegeben hat: einen Bourbon aus dem Sherryfass von Jim Beam. Die gesetzlichen Vorgaben für Bourbon in den USA sind sehr streng. Bourbon ist nur, was in neuen Fässern aus amerikanischer Weißeiche gelagert wurde. Allerdings möchte man nun auch hier experimentieren und verzichtet lieber auf die Bezeichnung Bourbon. Interessanter Ansatz, da könnten noch gute Sachen bei rauskommen. Für diesen hier würde ich allerdings keine 300 € hinlegen.
Nummer 9
Hier haben wir wieder ein wenig Klebstoff, dann eine Kombination aus Frucht, etwas Torf und Salz, in der Nase wie auch im Mund. „Hummer auf dem Grill“ ist laut Pit die dominante Note, an der man diese Distillerie auch erkennen kann, weil es die typische Note ist. Das war mir bislang nicht bewusst und ich tue mich auch schwer, das rauszuschmecken. Hier handelt es sich um einen Talisker Cask Strength Limited Edition, OA, Distilled in 1982, 20 y.o., 58,8%, was ich nicht erraten habe. Ich finde diese Abfüllung nicht übel, allerdings ist sie mir ein bisserl zu ruppig. Es mag daran liegen, dass viele andere Whiskys an diesem Abend deutlich eleganter und runder waren, jedenfalls komme ich mit diesem Talisker nicht richtig klar (obwohl ich die Destille eigentlich mag). Mein Verlierer des Tages.
Nummer 10
Das gleicht sich allerdings sofort wieder aus. Kaffeenoten, Brombeeren, deutlich Torf, Cassis und ein Hauch Flieder. Hier weiß ich (zum einzigen Mal an diesem Abend), was ich im Glas habe, dafür aber auf Anhieb und schon allein durchs Riechen: Das ist ein Bowmore (um genau zu sein, ein Bowmore „The Loving Brothers“ von Jumping Jack Productions aus dem Jahre 1995, 53,7%)! Der Geschmack ist voluminös und würzig, mit einer ausgewogenen Kombination der bereits erwähnten Noten und einem tollen, langen Abgang. Ganz groß und nur einen Hauch hinter dem Glenlossie! Genau wie Pits Anmerkung dazu: „Der ist so gut, wie er schmeckt!“
Nummer 11
Die letzte Flasche des Abends wird nicht blind verkostet, hier bekommen wir die Geschichte vorweg. Pit hat vor kurzem Jim McEwan besucht, eine der letzten großen Whiskylegenden unserer Zeit und aktuell Distillery Master bei Bruichladdich. Noch, muss man leider sagen, denn McEwan wird in diesem Sommer in Rente gehen. McEwan habe ich auf meiner erstetn Whiskymesse in München kennengelernt (ohne damals den Hauch einer Ahnung zu haben, wen ich da vor mir habe) und ein halbe Stunde lang mit ihm am Stand von Bruichladdich über Whisky gesprochen. Er hat einen gewaltigen Anteil daran, dass ich dieses Getränk (und auch Bruichladdich als Destille) so lieb gewonnen habe. Das hier ist nun die letzte Abfüllung, die es von ihm geben wird. Ein Port Charlotte, der in ein paar Monaten auf den Markt kommt. Und was für einer! Ich hatte mit Port Charlotte bislang gern mal meine Probleme, weil die meist so derbe torfig waren, dass mir das einfach zu viel war. Dieser hingegen gibt zwar auch ordentlich Gas, überschreitet dabei aber nicht die Grenze, die ich bei Torf habe. Stattdessen bleibt er eine schöne, kräftige Mischung aus Torf- und Sherrynoten. Guter Abschluss, sowohl für Jim wie auch für diesen Abend!
Vielen Dank an Pit, auch dieses Tasting war mal wieder ein absolutes Highlight.